Die Notwendikeit der verstärkten Patientenintegration im Gesundheitswesen wird auch von den politisch Verantwortlichen erkannt.

3. Lösungen unserer Gesellschaft, ihr Geld wert?



3.1 Initiation und emotionale Erziehung
im medizinischen Alltag - Absicht oder Zufall?

“Damit diese Faktoren (Stress, Doppelbelastung Beruf und Familie...) Menschen nicht krank machen, ist es vor allem notwendig den einzelnen in seiner seelischen Gesundheit zu unterstützen. Dabei kommt es u. a. darauf an seine Konfliktfähigkeit zu entwickeln.” (Bundesministerin Schmitt am 5.4.2001 in Köln) Die wachsende Notwendigkeit der Beteiligung des Betroffenen an seinem Gesundungsprozess durch Information und Schulung wird von Seiten der Verantwortlichen als sehr wichtig eingeschätzt. Dies formuliert das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) in seiner Pressemitteilung Nr. 95 vom 31.10.2000 folgendermaßen: “Es ist ein politisches Ziel der Bundesregierung, eine stärkere Orientierung des Gesundheitswesens auf die Patientinnen und Patienten zu erreichen.” Wie sieht es aber nun in der Praxis mit der Umsetzung solcher Ziele aus? Fördert der medizinische Alltag insbesondere im Krankenhaus die bewusste Auseinandersetzung des Menschen mit seinem Körper und schlägt sich dies auch baulich nieder? Oder ist die Entwicklung neuer baulicher Strukturen passend zu einem neuartigen Gesundungsprozess sinnvoll?





3.2 Zehn Thesen zum Krankenhaus

Lage des Klinikums Nürnberg - Süd (Fertigstellung Okt.1993) am Rande der Stadt ins Grün

Typischer Krankenzimmergrundriss ohne Bewegungsmöglichkeit, ohne Privatsphäre, mit hierarchischer Liegeordnung, sehr stereotyp, aus dem Ev. Krankenhaus Hubertus, Berlin, Fertiggestellt 1992.

1.: Als Haupteinrichtung der menschlichen Gesundung wird das Krankenhaus angesehen. Dieses stellt sich von anderen öffentlichen Einrichtungen oder Räumen meist sehr isoliert dar, oft als Neubau am Stadtrand. Krankheit wird als ein isoliertes Geschehen ohne Bezug zum Alltag gesehen, aus diesem auch räumlich entrückt.
2.: Fast alle Einrichtungen eines Krankenhauses sind auf das organische Krankheitsgeschehen hin reduziert. Dadurch wird der gesunde vom kranken Zustand getrennt, so daß Krankheit als fremd und bedrohlich wirkt. Die Krankheit wird nicht als Teil des Ich begriffen. Der Mensch wird ins Krankenhaus eingeliefert und ist seiner Krankheit ausgeliefert. Auch bei der Entlassung ist der Bruch sehr stark, der Alltagsbezug der überstandenen größeren Hilfebedürftigkeit unklar. Neu erlernte Verhaltensmuster können nicht in die Handlungsansätze des Alltags integriert werden, weil dieser Alltag im Krankenhaus völlig fehlt. Die sozialen Bezüge eines Menschen als eine seiner wichtigsten Ressourcen zur Gesundung können nicht genutzt werden.
3.: Räume für individuelle Rückzugsmöglichkeiten des Patienten gibt es nicht. Er ist der potentiellen Dauerbeobachtung durch das Personal ausgesetzt. Diese Tatsache dokumentiert ein nicht partnerschaftliches Verhältnis, wo dem Patienten tendenziell eine gewisse Unmündigkeit zugesprochen wird. Es verstärkt sein Verhalten, die Verantwortung an den die eigene Gesundheit betreffenden Fragen abzugeben.
4.: Auch im Krankenzimmer selber sind Rückzugsbereiche, wenn auch nur als ein die Intimsphäre warender Vorhang, wie in den Niederlanden üblich, in Deutschland leider eine Ausnahme. Der Patient liegt in seinem Bett vielfach wie auf einem Präsentierteller, was ein Gefühl des Ausgeliefert - Seins verstärken kann. Zudem ist eine Unterbringung von Mann und Frau in demselben Zimmer, mit der in den Niederlanden gute Erfahrungen gemacht werden, nicht möglich. Gerade die selbstgewählte Bestimmung von zwischenmenschlicher Distanz oder Nähe kann viel zum Wohlbefinden beitragen, als eine stimmige Mischung aus Sicherheit und Aufgehobensein.


Grundriss 1. Obergeschoss (Pflege) Ev. Johannesstift Berlin (Baujahr 1983), keine Rückzugsmöglichkeiten für Patienten, Zimmer nur für liegend - Kranke, keine Räume für verstorbene, Lage wie auf dem Präsentierteller, alle Zimmer mit gleichem Zuschnitt, keine Räume für Information ...


5.: Die Zimmer sind grundsätzlich nur für liegende Kranke eingerichtet. Dies ist sehr erstaunlich, da erklärtes Ziel aller medizinisch - pflegerischer Maßnahmen die Reintegration des Patienten in die selbstständige Ausführung aller Aktivitäten des täglichen Lebens (s.Anhang) darstellt. Liegend fern schauen entspricht aber nur einem sehr kleinen Teil dieser ATL‘s. Die Eigeninitiative des Patienten seine Ressourcen zu entdecken und ein neues Selbstbewußtsein zu finden, wird erschwert. Dem Patienten vertraute Rhythmen, wie das Anziehen, werden gänzlich unsinnig. Auch bedingt das Liegen eher eine abwartende, passive Haltung. Bei der Vielzahl an Erkrankungen ist es erstaunlich, das baulich immer mit dem gleichen Prototyp an Zimmern auf die verschiedene Pflegeintensität der Patienten reagiert wird.
6.: Da geeignete Sitz- und Bewegungsmöglichkeiten fehlen, weil der Platz von den großen Betten eingenommen wird, werden selbstverständliche Tätigkeiten, welche die Gesundung fördern, teilweise unmöglich und müssen als Prophylaxe2 fremd übernommen werden.
7.: Eigenen Beschäftigungsmöglichkeiten sind aufgrund des Platzmangels und des geringen Angebotes enge Grenzen gesetzt.
8.: Der Arbeit des Pflegepersonals mit dem Patienten an seinen individuellen Problemen im Sinne einer emotionalen Fürsorge, die zur besseren inneren Harmonie von Körper und Geist beitragen kann, wird in der Therapie kaum Platz beigemessen.
9.: Ein gezieltes Pflegemanagement, welches mit dem Patienten zusammen erarbeitet werden könnte und auch abrechnungstechnisch neue Möglichkeiten erschließen würde, fehlt in der Praxis meist.
10.: Dem Körper eines Menschen wird nach dessen Ableben kein besonderer Raum mehr zur Verfügung gestellt, lediglich ein Kühlfach. Es ist die Frage, ob ein sensiblerer Umgang mit dem Tod, welcher die Möglichkeit eines würdigen Abschiednehmens auch im Krankenhaus beinhaltet, nicht einen bewussteren Umgang mit der Frage nach seinem eigenen Körper fördern kann. Trotz der neuen Hospizbemühungen sterben immer noch ca. 60 % der Menschen im Regelkrankenhaus.




Nebenstehende Ziele werden in Zeichnung und Modell im hinteren Teil der Arbeit anhand unseres Lösungsvorschlages konkretisiert

3.3 Unsere Ziele: Körper erleben in der Stadt


Für einen Gesundungsort haben wir uns die folgenden Ziele gesetzt, um das Körpererleben in der Stadt zu fördern. Angestrebt ist:
  • Ein öffentliches Gelände.
  • Ein besonderer Ort unter Berücksichtigung des städtebaulichen Kontextes.
  • Die Nähe der eigenständigen Gesundungseinrichtung zu einem bestehenden Krankenhaus, welche Zusammenarbeit in Diagnose und Therapie ermöglicht.
  • Die demokratische, also nicht hierarchische Gliederung der Gebäudeelemente, da der Gesundungsprozeß ein individueller, kein vorgegebener Prozeß ist.
  • Eine gute Orientierung auf dem Gelände und im Gebäude, um das Sicherheitsempfinden zu stärken.
  • Die Baukörper am menschlichen Maß zu orientierten, was ihre Größe und Eingliederung in die Landschaft anbelangt.
  • Materialien vor allem der Oberflächen zu verwenden, die zu haptischen Erfahrungen einladen, um durch bewusstes Erspüren dem Bewohner seine Körperlichkeit erlebbarer zu machen.
  • Möglichkeiten zur Information, Kontemplation und Körpererfahrung in der näheren Umgebung zu schaffen.
  • Begegnungsräume sowohl im öffentlichen, halböffentlichen als auch privaten Bereich, die sich nicht aufdrängen, sondern frei gewählt werden können zu realisieren.
  • Die Begegnung von “Gesunden” und “Kranken” in derselben Institution, um dem fließenden Übergang dieser Seinszustände zu verdeutlichen.
  • Die Möglichkeit gleichzeitig Freunde oder Verwandte unterzubringen.
  • Die soweit mögliche eigenverantwortliche Ausübung der ATL‘s.
  • Die Unterstützung der Gäste durch eigene oder mitgebrachte Fachkräfte.
  • Die organisatorische Trennung von Unterbringung und medizinischer Diagnose / Therapie, welche die Eigenverantwortlichkeit stärkt und neue Abrechnungsformen ermöglicht.
  • In einem gewissen Rahmen die Zimmer an den individuellen Bedarf anpassen zu können, um auf unterschiedliche Gesundheitszustände und Bedürfnisse besser reagieren zu können.